Wenn von Beziehungsarbeit die Rede ist, das gilt im Privaten ebenso wie im Beruflichen, rollen viele die Augen und denken so etwas wie: Woran soll ich denn da arbeiten, die Beziehung ist doch DA. Beziehungsarbeit klingt ein bisschen nach Paartherapie, höre ich häufig – und selbst da geschieht sie meist erst dann, wenn das sprichwörtliche Kind schon zumindest in der Nähe des Brunnens zu verorten ist.
Die Arbeit an dem Dritten, das entsteht, wenn zwei oder mehr Personen mit- und zueinander in Beziehung, in Relation, in Kontakt treten, ist ein so zentrales Thema im systemischen Coaching, in der systemischen Arbeit, dass ich ein paar Worte darüber verlieren möchte. Wer von euch stellt sich zu Beginn einer Beziehung (und mit Beziehung meine ich jede Art von Relation – also mit- und zueinander im Verhältnis sein, im Kontakt; man könnte auch sagen: sich mit- und zueinander verhalten) die Frage, wie er/sie diese Beziehung gestalten will? Ich weiß, ich auch nicht – früher jedenfalls nicht. In meiner ORSC-Ausbildung in den Niederlanden (ORSC steht für Organizational Relationship Systems Coaching) habe ich eine vermeintlich kleine Übung kennengelernt, die jedoch in der Folge für mich selbst, für meine Beziehung(en) und für die Arbeit mit Teams und Führungskräften im Coaching und in der Beratung massiv Wirkung entfaltet hat, nämlich die Frage: Who do you want to be in a / in this relationship – and who not? Wer willst du sein – generell in Beziehungen mit/zu anderen, und auch speziell in dieser einen Beziehung; und wer willst du nicht sein?
Am vergangenen Wochenende haben wir uns im Club Systemtheorie mit einem schon älteren Text von Erving Goffmann beschäftigt, der sich mit der Frage der Imagepflege beschäftigt (Erving Goffmann: Techniken der Imagepflege, 1955), der Frage also, wie Interaktion sich vollzieht in Beziehungen zwischen zwei oder mehr Personen. Dabei geht er davon aus, dass Image, also das Bild, das man von mir hat innerhalb eines sozialen Systems, nicht von mir kreiert wird, sondern dass es schon existiert, schon da ist, sobald ich in Interaktion, in Beziehung trete. Das zeigt sich beispielsweise, wenn – wie kürzlich in einem Workshop mit Führungskräften – ich eine Gruppe von mindestens zwei Personen bitte, gemeinsam im Gespräch miteinander Hypothesen über eine dritte, anwesende Person zu bilden, die sie bisher möglicherweise noch gar nicht so gut kennen. Diese dritte Person hört der Hypothesenbildung zu, und oft ist erstaunlich, wie treffend die Hypothesen sind (und manche, die erst einmal ganz abstrus klingen, erweisen sich oft im Nachhinein als interessantes und hilfreiches Feedback). Bevor wir also Gelegenheit haben, uns näher kennenzulernen, hat das soziale System bereits ein Bild von uns; und wenn uns vorstellen, dass die Beziehung dieser Personen mit- und zueinander eine für sich eigene Einheit, eine „third entity“ bildet, dann können wir uns auch vorstellen, dass von diesem Dritten, das entsteht, auch mindestens ein Bild, eine Wahrnehmung existiert, die von den beteiligten Personen gepflegt, also in Interaktion bestätigt oder verändert, angepasst wird.
Nun kann ich, beispielsweise mit den beiden genannten Fragen (Wer will ich in Beziehungen – nicht – sein?), bewusst an diesem Image, an diesem Bild arbeiten, oder ich kann sozusagen tatenlos, inaktiv zusehen, wie dieses Bild „passiert“. Eine dritte Option, von der ich glaube, dass sie recht häufig vorkommt, ist: Ich lasse die Beziehung passieren, ohne dass ich dieses Passieren und/oder das Bild als solches reflektiere. Es kann sich also ungesteuert und unreflektiert in jegliche Richtung entwickeln, und zwar ohne dass ich darüber reflektiere. Klingt das bekannt? Das ist, was passiert, wenn uns nach vielen Jahren der/die Partner*in vorwirft, wir hätten uns ja nicht um die Beziehung gekümmert und uns auseinandergelebt. Oder der/die Andere wisse gar nicht mehr, wer wir überhaupt seien.
Für das Gelingen von Beziehungen auch und insbesondere im beruflichen Bereich ist es von enormer Bedeutung, diese Beziehungen aktiv zu gestalten und, allem voran, für sich und miteinander im Kontakt zu reflektieren, wer man eigentlich sein will – jede*r für sich und miteinander in Interaktion. So lassen sich potenzielle Konflikte vorausahnen und vorab besprechen, wie man damit umgehen will, Unterschiedlichkeiten verstehen und damit auch unterschiedliches Verhalten normalisieren (denn es ist ja klar, dass wir uns unterschiedlich verhalten, wenn wir an der einen oder anderen Stelle unterschiedliche Ideen davon haben, wie Situationen sich gestalten sollen), und vor allem können wir unsere Verständigung (im wahren Wortsinn) vorantreiben und mehr und intensiver voneinander lernen.
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