Die Chancen nach der Krise – lockdown diary 2

22.04.2020Claudia Salowski

Über die akute Covid-19-Krise und darüber, wie Organisationen bestmöglich mit ihr umgehen, wie die Ad-hoc-Digitalisierung, die Aufweichung der Grenzen zwischen privaten und beruflichen Rollen beim Arbeiten in hierfür ungewohnter Umgebung und unter unerwarteten Rahmenbedingungen gelingen kann, ist in den letzten Wochen vieles, vielleicht sogar alles Notwendige geschrieben worden.

Ich werde in diesem Artikel erste Antworten dazu skizzieren, wie Unternehmen den Restart professionell gestalten können, den Punkt nämlich, wenn, ähnlich wie bei einem Krankheitsverlauf, die akuten Symptome behandelt und abgeklungen sind und man sich nicht nur zum ersten Mal wieder in die Außenwelt wagt, möglicherweise noch ein wenig wackelig auf den Beinen, sondern wenn man beispielsweise das erste Mal wieder Joggen geht oder auf ein Konzert. Oder – zurück zur Unternehmensperspektive – wenn eben halbwegs unternehmerische Normalität einkehrt.

Wie unsere Normalität nach der akuten Covid-19-Krise aussehen wird, kann heute noch niemand so genau sagen. Dennoch gibt es bereits einige zentrale Fragen, basierend auf ersten Erkenntnissen aus der Krise, mit denen wir uns als Unternehmer:innen beschäftigen sollten.

Einige Beispiele:

  • Wenn Digitalisierung etwas war, von dem wir als Unternehmer:innen vor der Krise geglaubt hatten, das würde uns, unsere Branche, unsere Kundschaft nicht so betreffen, und wenn wir nun möglicherweise erlebt haben, wie Digitalisierung (mit Ruckeln und Schmerzen, aber immerhin!) innerhalb von zwei oder drei Wochen funktionieren kann: Was bedeutet das dann für unsere Einschätzung von Transformationsprozessen, von Veränderungsnotwendigkeit, von Bedarfen in unserer Branche, bei unseren Kund:innen?
  • Wenn wir bisher der Ansicht waren, dass Arbeiten im Home Office die Ausnahme sein sollte und viele der in unserer Organisation notwendigen Tätigkeiten dies nicht zulassen, was lernen wir dann jetzt daraus, dass in vielen Organisationen plötzlich fast alle das geschafft haben (mit Ausnahme der klassischen produktions- oder techniknahen Tätigkeiten)?
  • Wenn wir auf die Globalisierung unserer Vertriebswege und Zulieferketten gezählt haben und sich nun Umstände einstellten, die sie einfach so aushebelten, was bedeutet das für unsere Wertschöpfungskette in der Zukunft?
  • Welche Entscheidungsprozesse haben in der Krise gut funktioniert, und was lernen wir daraus für die Art und Weise, wie wir gewöhnlich Entscheidungen treffen?
  • Was haben die Führungskräfte in unserem Unternehmen über Führung, über strategische Weiterentwicklung des Unternehmens, über Beziehungsmanagement zwischen Führung und Mitarbeitenden gelernt? Und wie verfestigen wir diese Erkenntnisse in der Organisation zukünftig?
  • Wenn uns diese Krise überrascht hat, was sagt uns das über die Erwartbarkeit von Krisen generell und darüber, wie wir dafür aufgestellt sind?
  • Welche neuen Fragestellungen, an die wir zuvor nie gedacht hätten, hat die Krise und unsere Art und Weise, sie zu managen, aufgeworfen? Welche Antworten werden wir daraus für die Zukunft benötigen?

All diese Aspekte sind nun, mögen Sie einwenden, noch recht allgemein formuliert und kratzen erst einmal an der Oberfläche der zentralen Frage, was Unternehmen aus der akuten Krise lernen können. Doch eins ist entscheidend: Wenn wir uns diese und weitere Fragen, detailliertere Fragen, als Unternehmer:innen nicht stellen, dann haben wir eine wichtige Chance verpasst: die Chance, aus einer Situation für die Zukunft zu lernen und Anpassungen vorzunehmen, einer Situation, auf die die wenigsten von uns vorbereitet waren. Disruptive Ereignisse sind genau dadurch charakterisiert, dass sie unerwartet und unerwartbar sind, zumindest, was ihre tatsächliche Erscheinungsform angeht. Dass es auch in Zukunft disruptive Ereignisse geben wird, die die Welt verändern, in der wir leben und arbeiten, steht außer Frage. (Darauf hat im Übrigen Nassim Taleb in seinem Buch „Der Schwarze Schwan. Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“ bereits 2008 hingewiesen; dort bezeichnet er disruptive Ereignisse, also solche, die gleichzeitig unerwartbar sind und massive Auswirkungen auf eine oder mehrere Branchen oder Gesellschaften haben, als Schwarze Schwäne.) Deshalb hilft es nur begrenzt, sich auf das Bekannte einzustellen. Als Organisation macht den entscheidenden Unterschied, wer sich für das Unbekannte, für die Schwarzen Schwäne rüstet.

Genau hier liefert die Systemische Organisationsberatung einen entscheidenden Mehrwert: Basierend auf Erkenntnissen aus der Organisationtheorie reflektiert sie, mit welchen grundsätzlichen, sich aus der Logik des Organisationstypus ergebenden Spannungsfeldern sich jede Organisation dieses Typus konfrontiert sieht. Wenn wir es beispielsweise mit einer Matrixorganisation zu tun haben, die international aufgestellt ist, aber lokale oder regionale Einheiten hat, stellt sich immer die Frage, welche Entscheidungen am besten global und welche regional / lokal getroffen werden sollen. In einer Netzwerkorganisation stellt sich immer die Frage nach loser oder fester Kopplung der Netzwerkpartner entlang des Spannungsfeldes zwischen dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Organisation bei gleichzeitigem Wunsch nach Autonomie als eigenständiger Unternehmer:innenschaft. Und in einem inhaber:innengeführten Unternehmen ist ein zentrales Konfliktpotenzial beim Thema Tradition (der Familie oder der Inhaber:innenschaft) und Innovation (wie kann das Unternehmen moderner werden, um nicht den Anschluss zu verpassen) gegeben.

Im Rahmen dieser zentralen Spannungsfelder lässt sich nun in einem Beratungsprozess erarbeiten, was in der Krise erlebt und an Erkenntnisgewinn erreicht wurde und wie damit künftig umgegangen werden soll. Welchen Unterschied macht es für die Organisation, das nun zu wissen? Und was entscheiden wir daher nun neu und anders für die Zukunft? Wie stellen wir beispielsweise auch sicher, dass wir nicht dem Irrglauben aufsitzen, nun zu „wissen“, wie Krisenmanagement geht? (Was voraussetzt, dass sich die Krisen dazu bewegen ließen, sich in gleicher Form einzustellen wie die, auf die wir uns so intensiv vorbereitet haben.)

Eine weitere zentrale Rolle spielt der Aspekt, Führung als Funktion zu denken. Häufig haben wir ja die Idee, Führung in einer Organisation regele sich rein über die Personen, die mit Führungsverantwortung oder Führungskompetenz ausgestattet sind. Und stellen uns als Themen oder konkrete Aufgaben von Führung beispielsweise die klassische Trennung von Leadership und Management, die Führung der Mitarbeitenden, die operative Koordination von Prozessen etc. vor. Und schreien nach Ersatz (oder zumindest Reparatur), wenn die eine oder andere Führungskraft nicht so „performt“, wie wir uns das vorgestellt haben. Führung als Funktion bietet einen etwas veränderten Blick darauf: nämlich entlang der Idee, dass es bei Führung um Entscheiden geht. Genauer gesagt, um das Entscheiden des Unentscheidbaren (Heinz von Foerster), denn alles, was einfach entschieden werden kann, ist ja schon entschieden. Die wohl zentralste Entscheidungsfrage, die sich in Organisationen stellt, ist die, wo es denn morgen, nächste Woche, nächstes Jahr mit der Unternehmung hingehen soll, wie wir es schaffen, relevant und überlebensfähig zu bleiben. Denn es ist ja keineswegs selbstverständlich, dass mit unserer Firma alles immer so weiterläuft – das hat Covid-19 vielen von uns sehr eindrücklich vor Augen geführt. Führung ist also auch und vor allem zu denken als strategische Entwicklung von Szenarien, wie es mit dem Unternehmen weitergehen könnte, um sein Überleben zu sichern; oder aber um rechtzeitig zu entscheiden, dass es so nicht weitergeht (und was dementsprechend dann zu tun wäre).

Systemische Organisationsberatung, das ist als die Grundannahme meiner beraterischen Arbeit erkennbar, hilft Organisationen dabei, sich wirksame Fragen zu stellen und zu wirksamen Antworten und damit wirksamen Entscheidungen zu kommen. Für einen professionellen und bestmöglichen Restart nach der Krise.

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