„Dein Leben möcht‘ ich haben!“ Den Satz höre oder lese ich manchmal, wenn ich Fotos aus Workshops oder Trainings poste, in denen ich mit LEGO-Übungen arbeite. Augenscheinlich hat das für viele nach wie vor den Anklang, unsinniger Quatsch oder Beschäftigungstherapie zu sein. Und das, obwohl „Denken mit den Händen“ als Konzept schon in vielen Bereichen Einzug gehalten und zu einem bekannten Ansatz geworden ist. Dieses „Denken mit den Händen“ ist nicht nur in der Produktentwicklung oder Ideensammlung hilfreich, viele Menschen lernen einfach besser, wenn sie im wahren Wortsinn begreifen können.
Es gibt eine Übung, die ich beispielsweise in unterschiedlichen Kontexten schon seit vielen Jahren in Trainings oder Workshops einsetze: Es werden Kleingruppen von drei oder vier Teilnehmenden gebildet, drei Rollen werden verteilt: Eine Person baut (hat die Steine), eine zweite Person sitzt mit dieser Person Rücken an Rücken, das ist die Führungskraft, die anleitet (und dementsprechend die Anleitung bekommt). Die dritte Rolle ist die des:der Beobachter:in. Nun ist die Aufgabe, in maximal 10 Minuten das LEGO-Projekt fertig zu bauen – klingt einfach, oder? Allerdings: Nur die Person mit der Anleitung darf sprechen. Es sind keine Rückfragen, auch kein Feedback über Hörersignale oder sonstige verbale oder nonverbale Kommunikation erlaubt. (Es gibt dann noch einen zweiten Durchgang, ich spoilere aber jetzt nicht.) Der Effekt ist in jedem Workshop oder Training, in dem ich diese Übung bisher angewendet habe, verblüffend: Auch wenn im Debriefing die Erkenntnisse vielleicht erst einmal nur langsam tröpfeln, kann ich mich hundertprozentig darauf verlassen, dass die Übung für den Rest der Veranstaltung immer wieder zur Illustration dessen, was wir besprechen, zurück in den Raum geholt wird. Auch wenn die Legosteine längst weggeräumt sind, bleibt das plakative Bild im Raum und jemand sagt: „Das ist doch wie heute früh, als wir…“
Nun ist dies allerdings ein Beispiel, das auch mit dem Bau eines Papierfliegers (klappt super auch in Online-Workshops) oder mit ähnlichen Konzepten funktioniert. Was macht LEGO dann so einzigartig und besonders? LEGO selbst sagt dazu folgendes: „The material makes it easy for participants to put together satisfying models which represent something that they wish to communicate. They do not need significant technical skills; the LEGO System is familiar to many, and even if they have not used LEGO bricks before, most people find it quite easy to build meaningful constructions. LEGO bricks come in many shapes and colours, and can often provide inspiration for metaphors through serendipity. They can be built into simple or complex forms, as suits the personality of the builder, and research has shown that people from all walks of life feel comfortable attaching diverse metaphorical meanings to LEGO bricks.“ (Auszug aus den LEGO Serious Play® Open Source Instructions)
Die Verwendung von Metaphern ist ebenfalls eine sehr gängige Methode in der Arbeit mit Einzelpersonen oder Teams. Wenn ich beispielsweise mit Coachees an ihrer Zukunftsvision arbeite, nutzen wir häufig Collagen oder Zeichnungen, um eine Repräsentation dessen zu schaffen, was mein Coachee bisher ja nur als Bild im Kopf hat. Es auf einen Untergrund zu bringen und damit beobachtbar und besprechbar zu machen, führt in den meisten Fällen zu deutlich mehr Klarheit für die:den Coachee. Aber auch in Workshops zu Veränderungsprozessen oder in der Konfliktbearbeitung ist es aus unterschiedlichen Gründen hilfreich. „Denken mit den Händen“ heißt nämlich auch, dass ich sofort loslegen kann, auch wenn meinem Verstand gerade noch nichts einfällt. Und das funktioniert mit LEGO einfach hervorragend, davon konnte ich mich just am vergangenen Wochenende selbst noch einmal überzeugen, als ich meine LSP Facilitator-Ausbildung gemacht habe: Du nimmst einen Stein in die Hand. Und dann nimmst du den nächsten. Und ohne dass du wirklich intensiv darüber nachdenken musst, entsteht in deinen Händen ein Modell. Und falls es nicht passt, nicht trägt, dann merkst du das schon – und baust einfach noch mal neu.
Allen Skeptiker:innen kann ich nur empfehlen: Probiert es einfach mal aus! Schnappt euch (im Zweifelsfall auch heimlich) ein paar LEGO-Steine aus dem Kinderzimmer oder von Nachbar:innen und baut einen Turm. Einfach los! Und dann schaut ihn euch an und fragt euch: Worauf habt ihr geachtet? Sollte er besonders hoch werden? Oder besonders stabil? Habt ihr viele Farben verbaut oder nur wenige? Und dann baut ihn wieder ab, nehmt dieselben Steine und baut ein Modell, das FridaysForFuture symbolisiert oder die Große Koalition oder die Frage der Geschlechtergerechtigkeit. Geht nicht? Schaut euch das Foto an. Das zeigt ein Modell zum gesamtgesellschaftlichen Diskurs über die Arbeitswelt 2030. Viel Spaß beim kreativen Bauen!
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