Es ist nicht (immer), wonach es aussieht – lockdown diary 3

27.04.2020Claudia Salowski

Als ich etwa in Woche 3 des Lockdowns begann, mit Kolleg:innen und Kund:innen darüber zu sprechen, was diese aktuelle Krise aus meiner Sicht so besonders macht, wurde mir etwas bewusst, worüber ich bis dahin noch nie nachgedacht hatte: Wenn etwa alle zehn Jahre ein Wirtschaftszweig, eine Branche, ein Land oder – wie derzeit – der gesamte Globus durch eine Krise betroffen sind, haben nur die Unternehmen tatsächlich Erfahrung in der Bewältigung einer solchen Krise, die es schon mindestens zehn Jahre lang gibt. Auf mich trifft das nicht zu, ich werde am 2. Juli dieses Jahres mein zehnjähriges Jubiläum feiern. Klingt komisch, ist aber so: Teile meiner Reaktionen und Reflektionen auf die durch Covid-19 und die damit verbundenen Maßnahmen ausgelöste Krise lassen sich dadurch erklären, dass das für mich eine völlig neue Erfahrung ist.

Nun sind neue Erfahrungen per se weder gut noch schlecht, weder hinderlich noch förderlich, erst einmal sind sie einfach nur neu, haben gleichzeitig jedoch unterschiedliche Implikationen: Wenn ich etwas zum ersten Mal erlebe, bin ich einigermaßen unvoreingenommen, zumindest, was mein eigenes Erleben und Erklären und Bewerten dessen, was da passiert, betrifft. Ich habe einen relativ unverstellten Blick darauf und kann beobachten, ohne das Beobachtete zu vorschnell mit bestimmten „Tags“ zu versehen nach dem Motto: „Been there, done that.“ Gleichzeitig heißt es aber auch, dass ich nicht unmittelbar auf bereits erlernte und sich als hilfreich erwiesene Bewältigungsstrategien zurückgreifen kann. So erzählte mir ein Kollege beispielsweise, der schon seit vielen Jahrzehnten mit seiner Unternehmung aktiv ist und sich in diesen Jahrzehnten auch immer mal wieder neu erfunden und aufgestellt hat, dass er stets genug Rücklagen für mindestens ein halbes Jahr ohne Geschäft in der Hinterhand hat. Allerdings berichtete mir wiederum eine Kollegin, dass sie zwar ausreichend Rücklagen habe, sie jedoch nicht davon ausgehe, dass ihr Geschäft, so wie sie es bisher betrieben hat, in den nächsten Monaten oder gar Jahren überhaupt noch oder wieder Relevanz haben wird.

Würde ich nun davon ausgehen, dass sich irgendwo die „richtige“ Antwort verbirgt, hätte ich ein Problem, denn wie schon dieses kurze Beispiel zeigt, gibt es in derselben Situation durchaus unterschiedliche Notwendigkeiten und Ansätze zur Krisenbewältigung. Geld in der Rückhand zu haben, schadet sicher nicht, es kann jedoch zu kontraproduktiver Gelassenheit führen, wenn man sich denkt: Decke über den Kopf, jede Menge Bücher lesen, und in vier oder fünf Monaten wird der Spuk schon vorbei sein – denn dann könnte die Relevanz der eigenen Unternehmung auch vorbei sein. Es geht also nicht darum, die „eine richtige“ Antwort zu finden, sondern nach dem Prinzip vorzugehen, das im Coaching so bedeutsam ist: Hilfe zur Selbsthilfe generieren. Mein Krisenbewältigungsmodus ist nach dem Aktionismus der ersten Wochen nun übergegangen in ein Austauschen, Beobachten und Auswerten, und dazu brauche ich etwas, das für mich schon immer eine Herausforderung war: Hilfe.

Ich musste schmunzeln, als ich das Bild zu diesem Beitrag auf der LinkedIn-Seite von The Female Lead sah, denn: Das bin ich. Wenn es so etwas gibt wie die klassische Vertreterin der Generation Leistungsgesellschaft, dann findet sich bei der Beschreibung dieser Vertreterin definitiv mein Foto. Ich hätte, hätte man mich nicht dekanatsseitig mit fadenscheinigen „Da braucht es einen Antrag auf Sondergenehmigung“-Ausreden abgespeist, mein Studium in Rekordzeit absolviert. So habe ich parallel zueinander das Studium abgeschlossen und gearbeitet, im Examen bereits in Vollzeit, habe meine Examensarbeit nachts geschrieben, habe dann viele Jahre unsäglich viele Wochenstunden als angestellte Führungskraft geballert, immer alles termingetreu abgeliefert, und als ich entschied, mein eigenes Unternehmen zu gründen, war „selbst & ständig“ lange Zeit prägend. Das heißt nicht, dass ich nicht abschalten oder weniger arbeiten kann, das gelingt mir zwischenzeitlich durchaus gut. Es heißt, dass ich mich immer in der Lösungsverantwortung gesehen habe. Wenn ein Problem auftaucht, Salowski, ab dafür, dann sieh zu, dass du es bearbeitet bekommst. Das funktioniert nun nicht mehr, und das ist mir in den letzten Wochen sehr ein- und nachdrücklich klar geworden.

Ich schreibe hier nicht über Dienstleistungen, die man als Unternehmer:in einkauft, weil andere besser in Buchhaltung sind oder es kein gutes Wirtschaften ist, wenn ich mich selbst um meine IT kümmere und da viel mehr Zeit für viel schlechtere Ergebnisse brauche, weil ich alles andere als eine Spezialistin bin. Ich schreibe vielmehr darüber, dass die Frage, wer ich künftig als Unternehmerin sein will,  wie ich relevant bleiben und wie ich einen Unterschied in die Welt bringen will, eben nichts ist, was ich allein im stillen Kämmerlein durchdenken und beantworten muss. Wir sind stärker und smarter, wenn wir uns eine Community suchen, in der wir auf genau solchen Fragen herumdenken können. Formate gibt es dafür genug, beispielsweise Working Out Loud, entwickelt von John Stepper, der immer ansprechbar ist und tolle Unterstützung gibt, oder den Circle of Seven, über den Otto Scharmer in seinem Buch Theory U berichtet.

Es mag sein, dass ich so aussehe, so wirke, als könne ich alles alleine schaffen, und in vielen Bereichen kann ich das sicher auch. Aber wenn mich diese Krise eins ganz sicher schon jetzt gelehrt hat, dann, dass wir einiges so viel besser und nachhaltiger denken und erreichen können, wenn wir es gemeinsam angehen.

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Photo credits: The Female Lead