Gegen den Strom: Wie das, was wir mal waren, uns daran hindern kann zu werden, was wir sein wollen.

22.02.2019Claudia Salowski

Ganz früh heute Morgen las ich einen Artikel von Terry Lee, einem Berater, Leadership-Trainer und guten „alten Bekannten“ – von dem Menschen, von dem ich vor zwei Jahrzehnten mal maßgeblich gelernt habe, wie man auf Führung schauen kann. Terry schreibt in seinem Artikel über Veränderungsprozesse in Banken, dass gar nicht so verwunderlich sei, wenn diese sich mit Change schwer täten; denn schließlich haben Banken einmal originär für Sicherheit und Stabilität gestanden, da wäre es ja nahezu verwunderlich, wenn sie sich so einfach veränderten!

Eine Bank zu einem flexiblen, agilen Konstrukt zu machen, das schnell in der Lage ist, Change zu adaptieren und idealerweise auch noch dazu, sich selbst disruptiv zu verändern, kann so betrachtet also gar nicht so einfach sein. Man muss schon ordentlich gegen den Strom schwimmen, um einem System, das jahre- oder jahrzehntelang (manche sogar jahrhundertelang) genau deswegen erfolgreich war, weil es sich möglichst nicht veränderte, beizubringen, dass es sich nun verändern muss – und das auch am besten noch permanent – um mindestens ähnlich erfolgreich zu sein wie in der Vergangenheit. Klingt ein bisschen nach dem viel zitierten „teaching old dogs new tricks“. Und häufig sind wir schnell auf der anderen Seite und denken: Naja, dann müssen die halt mal lernen, dass das, was sie in der Vergangenheit erfolgreich gemacht hat, nun überholt ist!

Und systemtheoretisch liegt da quasi der alte Hund begraben: Wenn wir nicht respektieren, was im System immer noch starke Bedeutung hat, was eines der (möglicherweise zentralen) identitätsstiftenden Merkmale war, vielleicht sogar genau das Gegenteil davon nun einfordern; dann überfordern wir die Organisation und die Menschen in dieser Organisation häufig. Im Widerstand, im dagegen Angehen, liegt eben häufig der Weg in die Sackgasse. Je mehr ich diese Seite verneine und ignoriere, desto stärker werden die Kräfte im System, die genau dafür Verantwortung übernehmen. Gut darstellen kann man das im sogenannten Tetralemma, einer Vierfeldmatrix, die zeigt: Es gibt Position A (links oben), es gibt Position B (rechts unten), es gibt etwas, das weder A noch B ist (links unten), und es gibt etwas, das A und B vereint, also sowohl A als auch B ist.

Sich nur auf eine der beiden Positionen zu stellen, ignoriert die, die Verantwortung für die andere übernehmen. Das gilt gleichermaßen, wenn weder A noch B verfolgt werden. Wenn also Change nur auf das schaut, was neu sein soll, was die Organisation werden will, dann wird damit automatisch negiert, wofür die andere Seite Verantwortung übernimmt, beispielsweise für Sicherheit, Stabilität, Tradition, Kontinuität. Und solange nicht gemeinsam geschaut wird, wie dies in der neuen Welt weiterhin Platz haben und sein darf, wird es Widerstände gegen die Veränderung geben. Es gilt also, nach einem Weg zu suchen, im Sowohl-als-auch Optionen zu generieren: Wie können wir Veränderung zum stabilen Element unseres Handelns machen? Wie gelingt es, den Menschen Sicherheit und Stabilität in einer sich permanent verändernden Welt zu geben (heißer Tipp: wirksame Führung kann sowas!), und wie laden wir auch die dazu ein, denen Stabilität ein Graus ist und die am liebsten alles auf einmal verändern würden?

Um das Bild des Fisches zu bemühen, der da gegen den grauen Strom schwimmt: Wenn einer in die entgegengesetzte Richtung schwimmt, ist er damit vielleicht sehr erfolgreich. Wenn alle in dieselbe Richtung schwimmen, besteht das Risiko, dass sich alle irren und im Nirvana landen. Wenn wir miteinander im Austausch darüber sind, welche Optionen es im Sowohl-als-auch gibt und welche Entscheidungen wir dazu treffen wollen, öffnen sich möglicherweise Wege, die wir zuvor noch gar nicht entdeckt hatten, weil sie auf keiner Karte eingezeichnet sind.

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