„Kaffee, Donut, Viertelstunde“ zum Lesen: Folge 003 mit Sonja Sinz, die Hamsterrad und Zürichsee gegen Selbstständigkeit und Haus am Meer eingetauscht hat

17.11.2020Claudia Salowski

Heute gibt es Folge 003 mit Sonja Sinz zum Lesen. Sonja war auf dem klassischen Karriereweg – verschiedene Leitungspositionen in unterschiedlichen Fachgebieten, als nächstes hätte General Management auf der Liste gestanden. Warum sie sich dagegen und für den Aufbau ihrer Selbstständigkeit entschieden hat und was das mit der Idee vom Haus am Meer zu tun hat, liest du hier!

Claudia: Hallo Sonja, schön, dass du da bist!

Sonja: Hallo!

Claudia: Hi! Starten wir gerne wie immer mit der ersten Frage: Wo und wie trinkst du denn am liebsten deinen Kaffee? Oder Tee?

Sonja: Also im Moment sitze ich hier gerade mit einem Grüntee. Ich habe vor ein paar Jahren mal auf Grüntee umgestellt am Morgen. Und den trinke ich am allerliebsten bei uns in der Küche auf der Eckbank sitzend mit einem Blick in die regionale Zeitung hier in der Gegend.

Claudia: Und der Blick geht ja, wenn ich mich so ein bisschen an die Bilder erinnere, die du geteilt hast mit mir in letzter Zeit, dann geht der Blick ja nicht nur in die Zeitung, sondern möglicherweise auch ein bisschen raus ins Grüne. Denn du bist, ihr seid kürzlich umgezogen in ein superschönes Projekt, kann man fast sagen. Erzähl mal!

Sonja: Genau, ja, unser kleines Juwel, das wir hier gekauft haben und hübsch gemacht haben in den letzten Wochen. Wir haben das Abenteuer gestartet ins Ungewisse. Wir hatten eigentlich immer die Idee gehabt, schon vor zehn, fünfzehn Jahren, es wäre doch schön, mal irgendwie im Norden zu wohnen. Der Beruf hat uns dann aber in die Schweiz verschlagen beide, wo wir auch eine sehr gute Zeit hatten und Karriere gemacht haben, zumindest für meinen Part kann ich das sagen. Und dann ergab sich einfach die Chance, diesen alten Traum mal wieder aus der Mottenkiste herauszuholen: Wie war denn das mit unserer Idee vom Haus am Meer? Und könnten wir das vielleicht machen? Und das hat dann dazu geführt, dass wir einfach mal geschaut haben: Wäre das denn möglich für uns, könnten wir das machen? Wir haben so ein bisschen rumgesponnen, und ja: Wenige Wochen später haben wir tatsächlich dann ein Angebot für ein Haus eingereicht, und es fühlt sich ganz wahnsinnig an, jetzt hier in diesem Haus leben zu können. Wir fühlen uns sehr, sehr heimisch schon hier, obwohl wir noch gar nicht so lange da sind.

Claudia: Das ist ja meistens so ein Signal dafür, dass es auch eine sehr, sehr gute Entscheidung war, wenn man so das Gefühl hat, man kommt direkt an und es fühlt sich wie Zuhause an, obwohl man noch gar nicht lange da ist.

Sonja: Ja, absolut. Ich muss mich manchmal so ein bisschen kneifen (lacht).

Claudia: (lacht) Sehr schön! Ja, und der Weg ist ja nicht nur der räumliche von Zürich in den Norden, sondern der Weg, den du im Moment gehst und auch schon ein bisschen länger gehst, ist ja auch einer aus dem Bereich Management in den Bereich Selbstständigkeit. Erzähl doch mal: Was hast du gemacht, und was machst du jetzt, und wie sind die Pläne für die Zukunft?

Sonja: Ja. Also ich habe meinem Leben eine ganz neue Richtung gegeben, und wenn man mich vor zwei Jahren gefragt hätte, ob ich mal als Selbstständige arbeiten würde, ohne Netz und doppelten Boden sozusagen, hätte ich gesagt: Nee! Auf gar keinen Fall! Denn ich war sehr gut eingebettet in dieses typische Corporate-Umfeld in dem ich berufsmäßig quasi groß geworden bin. Ich habe dreizehn Jahre am Stück immer in großen Konzernen gearbeitet, bei mir war das in der Pharmaindustrie, und bin dort eingespurt gewesen auf so eine Standardlaufbahn in Richtung General Management. Und habe auch wirklich gedacht, dass ich das will. Weil ich Lob gekriegt habe und Anerkennung gekriegt habe, immer mehr durfte, immer mehr Verantwortung bekam. Mir haben viele Dinge auch Freude bereitet. Und dann kam aber irgendwann der Punkt, als ich ganz kurz davor war, dass ich das wirklich werden konnte, worauf ich zehn Jahre hingearbeitet hatte – dass ich kalte Füße kriegte und mir dachte: Moment mal, wäre ich denn eigentlich eine gute Geschäftsführerin? Und – noch wichtiger: Würde mir das eigentlich Freude bereiten? Und bin dann zu dem Schluss gekommen: Nein, das bin gar nicht ich. Ich glaube, ich habe hier einfach ein Leben gelebt, das Erwartungen übertroffen hat von meinem Umfeld, aber das mir selber gar nicht gerecht geworden ist.

Claudia: Also waren gar nicht wirklich deine eigenen Erwartungen?

Sonja: Genau. Genau! Ich war einfach sehr, sehr gut darin, anderen zu gefallen und das zu tun, was von mir erwartet wird. Und habe mich sehr stark definiert über meine Job Description, über die wachsenden Verantwortlichkeiten im Unternehmen und darüber, was mir alles zugetraut wird. Und ich hatte so meinen eigenen Selbstwert überhaupt gar nicht auf dem Schirm.

Claudia: Was meinst du mit eigenem Selbstwert? Eigene Bedürfnisse?

Sonja: Ja, wer bin ich eigentlich, und was brauche ich eigentlich, damit es mir gut geht? Nicht: was braucht mein Umfeld. Sondern was brauche ich, um gut arbeiten zu können und was macht mir eigentlich Freude im Leben und wofür bin ich da?

Claudia: Ja. Ist manchmal ja im Außen so klar, und in der klassischen Karriere… Ich kann damit ganz gut mich verknüpfen, weil ich ja eine ganz ähnliche Geschichte habe, und es ist im Außen ja häufig so sehr, sehr klar formuliert und festgelegt, und Karrierepfade sind irgendwie klar. Und in Organisationen weiß man, was man tun muss, um Karriere zu machen in Anführungszeichen und was mit dem Begriff verbunden ist. Aber wie das in einem selbst aussieht, da guckt man im Zweifelsfall auch gar nicht hin, ja. Kann ich mich total gut mit anfreunden, was du sagst.

Sonja: Genau, und das Umfeld interessiert sich ja auch wirklich nur sehr bedingt für dich als Persönlichkeit. Jeder hat ja eine Agenda. Jeder, der dir zu irgendwas rät, hat ja da eigene Interessen daran. Du bist ja im Unternehmen eine menschliche Ressource, so heißt es ja auch! Du bist eine Ressource, aus der man das Maximum herausholen sollte, und die gut gemanagt und die ans Unternehmen gebunden und „retained“ werden sollte, und irgendwann war mir das einfach nicht mehr recht, dass ich eine Ressource bin. Ich wollte mich selber wieder mehr spüren und leben können. Und dann hat so eine Kaskade Veränderungen begonnen. Zu dem Zeitpunkt, als ich das realisiert habe, bin ich zuerst natürlich noch im Unternehmen geblieben. Ich sage jetzt „natürlich“, weil es natürlich… Ja, es ist schwierig, aus diesen gelernten Wahrheiten und Regeln auszubrechen. Du brauchst eigentlich einen festen Job, lernt man so. Und das Unternehmen bietet dir Sicherheit. Deswegen bin ich zunächst mal im Unternehmen in den Bereich HR gegangen und habe dort ein strategisches Projekt leiten dürfen, und hab gedacht: Was mich wirklich interessiert, ist, wie Menschen ticken und warum und was Leute brauchen, um gut arbeiten zu können. Und dort habe ich das Ganze etwas professionalisieren können und noch viel dazugelernt. Und dann, nach einer Weile, ging es aber weiter mit meiner internen Veränderung auf eine Art und Weise, die mich dann dazu gebracht hat, dass ich sagte: Das geht mir hier alles nicht tief genug, und das geht mir nicht schnell genug mit dem „gut zusammenarbeiten“ und mit dem „mehr Menschlichkeit am Arbeitsplatz fördern und zulassen“, sodass ich dann fand: Nee, ich glaube, jetzt ist der Zeitpunkt, mal die Corporate-Welt zu verlassen und sich das Ganze mal von außen anzugucken. Und vielleicht kann ich ja mit dem, was ich in den letzten dreizehn Jahren innerhalb dieser großen Firmen gelernt habe, einen guten Beitrag leisten an anderer Stelle mit einem Blick von außen.

Claudia: Das heißt, du hast jetzt dir auf die Fahnen geschrieben, Organisationen, also mehrere gleich und nicht nur die eine, in der du gewesen bist, von außen weiterzuentwickeln, zu verändern und auch mit dem Blick auf: wie geht Zusammenarbeit bestmöglich?

Sonja: Genau.

Claudia: Erzähl mal, was dein Plan ist, was hast du vor, was machst du, wie bist du aufgestellt?

Sonja: Also ich bin jetzt im Monat 3, glaube ich, meiner Selbstständigkeit, und das war jetzt eine recht spannende Phase in den letzten Wochen tatsächlich, weil wir ja gleichzeitig unseren gesamten Hausstand von der Schweiz nach Norddeutschland umgezogen haben hier in die Nähe von Flensburg, und ich währenddessen meine Selbstständigkeit gestartet habe. Und ich bin sehr, sehr froh, dass ich direkt mit einem Großauftrag starten konnte, das hätte ich wirklich nicht für möglich gehalten.

Claudia: Ja cool, Glückwunsch!

Sonja: Also ich bin tätig als freie Organisationsentwicklerin, Moderatorin und Coach und helfe Menschen dabei, mit sich selber ins Reine zu kommen, sich selber zu vertrauen und miteinander gut zu arbeiten. Und das sind zwei Sachen, von denen ich überzeugt bin, dass sie ganz eng verzahnt sind. Und was mich auch damals in den Firmen hin und wieder mal gefuchst hat, war, dass diese Entwicklungsprogramme, die es dort gibt, einfach alle nicht tief genug gehen. Die sind auf so einer Verhaltensebene oft stehen geblieben: Macht doch weniger von dem und macht doch mehr von dem und dann wird das besser. Aber anstatt mal zu hinterfragen, was sind eigentlich die Glaubenssätze, die dahinter stehen, hinter diesem oder jenem Verhalten, das du ändern möchtest, wo kommt das her? Ist das vielleicht ein Muster, das es an anderen Stellen in deinem Leben auch gibt? Und eben diese zwei, drei Lagen tiefer gehen, das ist das, was mich jetzt daran sehr motiviert, und ich darf jetzt da zusammen mit einem Team von anderen Coaches und Moderatoren eine große Transformation begleiten bei einem Unternehmen in Deutschland, das wirklich den Mut hat, diese paar Ebenen tiefer zu gehen, als man das normalerweise so kennt.

Claudia: Wie hat sich denn aus deiner Sicht das Thema Veränderung oder auch Transformation selbst verändert? Ich frage das, weil ich wahrnehme, dass so in den 90ern, als ich angefangen habe auch im HR-Bereich zu arbeiten und mich um das Thema Personalentwicklung, Organisationsentwicklung und eben auch Veränderungsprozesse zu kümmern, da war das ja so klassisch projektmanagementmäßig. Man hat am Anfang einen Plan gemacht, und dann gab es da bestimmte Meilensteine, die man erreichen wollte, und dazu hat man Maßnahmen definiert. Und so richtig trägt das ja in unserer heutigen Zeit nicht mehr – ist zumindest mein Eindruck. Wie erlebst du das?

Sonja: Ich glaube, es gibt ein sehr, sehr heterogenes Bild im Moment, wie Unternehmen sich verändern und ihre Veränderungsprozesse auch versuchen zu gestalten. Was ich oft sehe, ist, dass man auf der Methodenseite anfängt und den Mitarbeitern einfach mal ein Toolset an die Hand gibt für agiles Arbeiten. Und dann werden innerhalb von Wochen alle Meetingräume mit bunten Post-its beklebt, und in der Remote-Version dann entsprechend die Miro-Walls beklebt, und es werden neue Rituale eingeführt, aber es klappt nicht immer, dass mit diesen Ritualen und Tools auch eine Veränderung der Haltung einhergeht. Und die ist es ja letztendlich, die es braucht. Das ist ja das, was am meisten bewirkt, ist zumindest meine Überzeugung, wenn ich davon ausgehe, dass mein Gegenüber genauso kompetent, liebenswert und kreativ ist wie ich selber und den Menschen um mich herum etwas zutraue, dann beginnt ja eine ganz andere Art des Arbeitens im Vergleich zu: Wir haben grundsätzlich mal die Annahme, dass Mitarbeiter kontrolliert und gelenkt werden müssen, damit sie eine gute Arbeit machen können.

Claudia: Also so die Frage, welches Bild habe ich eigentlich auch als Organisation davon, wie Menschen zu ticken. Also sind das potenzielle Faulenzer, und haben die eigentlich gar keinen Bock zu arbeiten und machen das nur, weil sie müssen; oder gucke ich auf Menschen und denke, das sind Leute, die nach Inspiration suchen und die sich weiterentwickeln wollen. Das ist ja so ein ganz massiver Unterschied. Ich glaube, dass sich – da müssen wir schon mal einen kurzen Moment hinschauen, denk ich – in Zeiten von Corona so ein kurzer Moment, also wenn man rauszoomt kurz – ergeben hat, in dem wir sehr stark alle auf einander geguckt haben, füreinander dagewesen sind. Wie erlebst du das denn in Organisationen, hat sich da was verändert?

Sonja: Ja, ich glaube schon, dass sich was verändert hat, und auch einige der alten Glaubenssätze sind durchaus zum guten Glück etwas in Frage gestellt, zum Beispiel: Menschen können am besten produktiv arbeiten, wenn sie sich alle im gleichen Büro befinden. Ich glaube, dieser Glaubenssatz ist definitiv ins Wanken geraten, auch bei einem noch so konservativen Manager in den letzten Wochen, und das ist gut. Und ich habe einfach festgestellt, durch die virtuell stattfindenden Gespräche und die Workshops trifft man die Leute halt zuhause an, und während ich zuerst dachte, es ist bestimmt schwierig, über die Ferne eine Nähe herzustellen, eine emotionale und menschliche Nähe, ist diese Nähe aber trotzdem da. Ich habe so den Eindruck, dass die Menschen jetzt ihr eigenes Zuhause als einen emotionalen Anker um sich herum haben und deswegen mehr in sich ruhen in den Interaktionen und auch ein Stück weit selbstsicherer auftreten können, weil sie auf ihrem Sofa oder auf ihrem Stuhl zuhause sitzen und eben nicht in der Arbeitsumgebung sind.

Claudia: Ja, und alle zeigen ja auch derzeit viel, viel mehr von sich selbst. Das ist ja ein Unterschied, ob ich, wenn ich ein Online Meeting habe, in dem auch die Geschäftsführerin sitzt, dann eben sehe, dass da auch zwischendurch mal der kleine Junge reinkommt und sich auf den Schoß setzt und die genauso in der Situation ist wie alle anderen auch, dass jetzt eben die Trennung zwischen Arbeit und privat nicht mehr so intensiv ist. Wir kommen langsam tatsächlich, das ist immer wieder überraschend, wie schnell eine Viertelstunde vergeht, zum Ende unserer Viertelstunde. Meine letzte Frage an dich, Sonja, ist: Mit wem, lebendig oder nicht mehr lebendig, würdest du gerne mal einen Kaffee trinken gehen und über Gott und die Welt quatschen?

Sonja: Oh, da gibt es bestimmt ganz viele Leute, mit denen ich gute Gespräche führen könnte. Wer mir jetzt als Allererstes spontan einfällt, ist mein Großvater, mein Urgroßvater. Mein Urgroßvater ist nicht mehr lebendig, der hat den Ruf in der Familie, dass er ein Autodidakt war, ein sehr vielseitig interessierter Mensch, der einfach ein ganz heller Kopf war und gleichzeitig aber sehr humorvoll und empathisch. Und ich würde mich sehr, sehr gerne mit dem Urgroßvater mal zusammensetzen und mit ihm einen Kaffee trinken und mir einfach erzählen lassen, wie er denn so seinen Blick auf die Welt gestaltet hat zu seiner Lebenszeit.

Claudia: Ja spannend! Also gerade auch, um zu lernen, was noch mal Facetten sein können, die sich über viele, viele Jahre oder Jahrzehnte entweder weiterentwickelt haben oder die so mitgelaufen sind und die wir vielleicht auch gar nicht mehr auf dem Schirm haben. Super, sehr interessant! Danke dir ganz herzlich, liebe Sonja!

Sonjas Blog findet sich hier