Kein Empfang auf diesem Kanal: Lerntypen im Online-Coaching

13.05.2020Claudia Salowski

Wenn ich meine Timeline in LinkedIn der letzten Wochen durchscrolle, finde ich unzählige Artikel dazu, wie leicht uns doch plötzlich die Umstellung auf nahezu ausschließliche Online-Arbeit gefallen ist. Schaut man auf die Seite der technischen Umsetzung, unterschreibe ich das sofort: Viele Unternehmen haben in Windeseile hinbekommen, was teilweise im Zeitraum von Jahren zuvor als nicht möglich oder nicht denkbar erachtet wurde. Es werden aber auch immer mehr Stimmen laut, die auf die Seite der Herausforderungen schauen, und zwar mit zwei Schwerpunkten: für Eltern wird es immer schwieriger, die Arbeit von zuhause mit der Betreuung und Beschulung der Kinder unter einen Hut zu bekommen; und die Führungskräfte spüren immer deutlicher, dass und wie sehr die „Kommunikation dazwischen“ fehlt, denn selbst wenn man sich im Team formlos auf einen virtuellen Kaffee verabredet, ersetzt das nicht die Möglichkeit, face2face zwischen den Zeilen zu lesen, körpersprachliche Signale wahrzunehmen, Teammitglieder mal über mehrere Stunden in ihrer Haltung, Stimmung, in ihrer Anwesenheit zu beobachten und zu erleben.

Für meine Arbeit mit Organisationen und Führungskräften gilt das genauso, und bei aller Chance, die in der Krise darin liegt, wenigstens ein bisschen weiter arbeiten zu können, ergeben sich nach nun mehreren Wochen Beobachtung auch einige Grenzen und Herausforderungen. Und ich glaube, das kann man ganz gut mit dem Konzept der Lerntypen erklären, das Howard Gardner  entwickelt hat und das in folgender Grafik, die ich auf Pinterest gefunden habe, sehr gut dargestellt ist:

Nehmen wir beispielsweise die logische oder die linguistische Intelligenz, mag ein Gespräch über eine Videokonferenz-App super funktionieren, denn Menschen, die hier eine Präferenz haben, lernen vorwiegend über Sprache und/oder über Zahlen, Daten, Fakten. Schwieriger wird es schon mit visuellen Lerntypen. Zwar gibt es in nahezu allen gängigen Online-Konferenz-Anwendungen mittlerweile die Möglichkeit, ein Whiteboard zu verwenden oder den Bildschirm zu teilen, dennoch ist das voraussetzungsvoller, als wenn wir in einem Besprechungsraum miteinander vor dem Flipchart stehen und gemeinsam etwas aufmalen, denn alle Beteiligten müssen erst einmal herausfinden und lernen, wie das alles funktioniert. Und sofern, was mir durchaus häufiger begegnet ist in den letzten Wochen, Menschen in solchen Gesprächen nicht die ganze Zeit per Videokamera sichtbar sein wollen oder tatsächlich – auch das gibt es! – die technischen Voraussetzungen dafür nicht haben, fällt ein visueller Kanal weg. Manchmal führt aber auch die Vielzahl der visuellen Möglichkeiten zur Überforderung, wie ich mittlerweile freitags am eigenen Leib erfahre, wenn ich mit meinem Spanischlehrer arbeite: Auf dem iPad habe ich eingescannte Übungsaufgaben, gleichzeitig erklärt er mir per Whiteboard, wie das Verb konjugiert wird, um das es in der Übung geht, und da er mir alles zunächst einmal auf Spanisch erklärt und nur im allergrößten Verständnisnotfall zu Englisch wechselt, hilft es mir sehr, ihn zu sehen – ich bräuchte also eigentlich drei verschiedene Geräte, mit denen ich visuell arbeite.

Besonders herausfordernd wird meiner Beobachtung nach Online-Coaching mit Menschen, bei denen die kinästhetische oder interpersonale Intelligenz besonders stark ausgeprägt ist, denn diese Menschen lernen am besten, wenn sie etwas mittels ihrer Hände, ihres Körpers begreifen können und/oder, wenn sie in einer Gruppe gemeinsam mit anderen Lernerfahrungen machen. Rein technisch und methodisch ist auch das umsetzbar, ich kann Gruppen gemeinsam in virtuelle Gruppenräume senden und dort an konkreten Themen arbeiten lassen, und ich kann auch haptische Übungen machen, wenn ich dies entsprechend vorbereite, beispielsweise über Lego Serious Play, zu dem ich voran die Materialien an alle Teilnehmenden sende. Das alles ist jedoch ausgesprochen voraussetzungsvoll und kostet deutlich mehr Zeit in der Konzeption und der Vorbereitung, als dies bei klassischen Präsenz-Lernveranstaltungen der Fall ist. Daher ist es ein Trugschluss zu glauben, mit virtuellen Lernräumen wird nun alles schneller und günstiger. Sicher spart man Zeit, sowohl auf der Seite der Teilnehmenden, als auch auf der Seite der Coaches oder Trainer:innen, denn allemal fallen Reisezeiten und -kosten weg. Die Vorbereitung, das Set-up, ist jedoch um ein Vielfaches intensiver und zeitaufwendiger, die unterschiedlichen Medienkompetenzausprägungen müssen bedacht und berücksichtigt werden, und insbesondere Blended Learning, die Mischung unterschiedlicher Methoden und Kanäle, braucht ein gut durchdachtes Konzept. Ich glaube, dass die Erfahrungen aus dem Lockdown hier eine große Hilfe sind und vieles an Möglichkeiten sich auch über längere Zeit verfestigen wird in den Lernwelten – hoffentlich auch das Verständnis, dass dies für alle Beteiligten voraussetzungsvoller ist, wenn Lernen und Entwicklung online nicht nur eine Notlösung sein sollen, sondern eine echte Alternative.

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