Was ich gerade lese

26.11.2018Claudia Salowski

Geht Ihnen das auch so? Ich kann an Büchern nicht vorbeigehen! Sei es in der Bahnhofsbuchhandlung oder bei einer Konferenz oder Tagung – es scheint mir fast so, als würden manche Bücher auf mich warten und sich ausgerechnet dann bemerkbar machen, wenn ich über genau dieses oder jenes Thema nachdenke! (Das ist natürlich Quatsch. Was da passiert, ist lediglich Aufmerksamkeitsfokussierung, der gleiche Effekt, der auch eintritt, wenn man gerade ein neues Auto kaufen will und plötzlich überall nur noch die Fabrikate sieht, über die man besonders nachdenkt.)

Eines der Themengebiete, die mich derzeit am meisten beschäftigen und interessieren, ist die Digitale Transformation und – naturgemäß als Beraterin – ihre Auswirkungen auf Organisationen und auf die Menschen in diesen Organisationen. Dementsprechend stapeln sich in meinem Arbeitszimmer Bücher zu diesem Thema; manche davon beschäftigen sich mit der Frage, wie Organisationen die Digitale Transformation am besten bewältigen. Andere damit, wie Unternehmer (und so eine bin ich ja auch) für sich selbst den Wandel gut gestalten können, wie sie disruptiv denken und Innovation erzeugen, wie Produkte digital gestaltet oder sogar erfunden werden können. Wieder andere mit der Frage, was disruptive Veränderungen und Digitale Transformation für den Blick auf Führung bedeuten.

Das alles sind wichtige Aspekte, und es gibt viele gute Titel zu diesen Themenbereichen. Doch letzten Freitag, anlässlich der Tagung des Clubs Systemtheorie in Berlin zu der Frage „In welcher Gesellschaft beraten wir?“ fiel mein Blick auf dieses Buch: „Der blinde Fleck der Digitalisierung. Wie sich Nachhaltigkeit und digitale Transformation in Einklang bringen lassen“ von Felix Sühlmann-Faul und Stephan Rammler. Die Autoren werfen folgende große Herausforderung im Zusammenhang mit der Digitalen Transformation auf, die mir völlig erklärlich ist, bei der ich jedoch bis dato auch einen völlig blinden Fleck hatte, d.h. sie war überhaupt nicht in meinem Bewusstsein: Wir glauben, dass mit der Digitalen Transformation ein großer Fortschritt erreicht wird, auch in Sachen Ressourcenschonung, beispielsweise durch das vielzitierte papierlose Büro. Doch überhaupt nicht klar und bewusst ist vielen, dass die Digitalisierung auch eine andere Seite hat: massiven Ressourcenbedarf nämlich, der zu Lasten des CO²-Abdrucks, zu Lasten des Klimas etc. geht. Ein Beispiel (Zitat S. 46):

„Während 1992 der globale Datendurchsatz bei 100GB pro Tag lag, erreichte er 1997 100GB pro Stunde, 2002 dann 100GB pro Sekunde. Die Prognose für das Jahr 2021 liegt bei knapp 106.000GB pro Sekunde. Bereits 2010 ergab eine grobe Kalkulation, dass das gesamte Internet einen jährlichen CO²-Footprint von 300 Millionen Tonnen erzeugt. Diese Menge entspricht dem CO²-Ausstoß, der erzeugt würde, wenn jede/r Bewohner*in Großbritanniens zweimal nach Nordamerika und wieder zurück flöge.“

Dieses Rechenbeispiel hat mich, gelinde gesagt, schockiert, und das Thema des Buches bestätigt meinen Gedanken, den ich während der Tagung in die Diskussion zur Frage der Gesellschaft, in der wir beraten, einbrachte. Prof. Dr. Armin Nassehi, einer der Vortragenden der Tagung (bei Musikfestivals würde man ihn vermutlich als den Headliner bezeichnen) stellte in seinem Vortrag die These auf, dass die Gesellschaft sich nicht verändere – im Gegensatz zu den Organisationen, die in ihr stattfinden. Wenn dies, so meine Anmerkung in der Diskussion, bedeutet, dass es in der Gesellschaft immer ein Einerseits und ein Andererseits gibt, also immer Verantwortung für Position und Gegenposition übernommen wird, dann mag dies ein Merkmal für Unveränderlichkeit sein, da für jede neue Position immer auch eine Gegenposition entwickelt würde. Wenn also Gesellschaft von einigen in Europa als europäisch verstanden wird, ist es im Sinne des Gleichgewichts ein nachvollziehbarer Effekt, dass andere Verantwortung für das Bewahrende, Konservative im Sinne der einzelnen Nationen als Identitätsmerkmal übernehmen. Diesen Gedanken mag man durchaus auch auf die Digitale Transformation anwenden, die uns einerseits neue, innovative, disruptive Möglichkeiten erschließt, mit denen neue Wege in der Kommunikation, in der Verarbeitung und Nutzung von Daten, in der Erfindung ganzer Geschäftsbereiche etc. gegangen werden können. Andererseits ist ein Preis damit verbunden, der uns möglicherweise noch gar nicht klar und noch wahrscheinlicher nicht ausreichend bewusst ist.

Für mich konkret bedeutet das, mich noch intensiver mit der Frage nach Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Nachhaltigkeit in den Services, die ich für meine Kunden erbringe; Nachhaltigkeit bei allem, was ich nutze und anbiete, um diese Services zu erbringen (Arbeits- und Teilnehmermaterialien, aber auch Büroausstattung, Energiequellen etc.) – und nun mit intensiverem Fokus auch Nachhaltigkeit auf der anderen Seite der Bilanz Digitaler Transformation.

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