Rolle rückwärts für Gender Diversity: Warum Organisationen sich jetzt umso stärker für Diversity Management einsetzen sollten

04.06.2020Claudia Salowski

„Die Angst vor der Rolle rückwärts in die 50er Jahre“ lautet der Titel eines Artikels von Politik-Redakteurin Sabine Menkens in der Welt vom 05.05.2020. Dort beschreibt sie die sich seit Beginn der Corona-Pandemie und vor allem durch den Lockdown immer weiter verschärfende Situation von Frauen, die wieder zurückgeworfen werden in die (reine) Konzentration auf Care-Arbeit – unbezahlt, versteht sich. Der Rückzug in die Arbeit von zuhause aus, um Kontakte mit Menschen außerhalb des eigenen Haushalts möglichst zu vermeiden, die Herausforderung, 24/7 auch Kinderbetreuung zu regeln und sogar Homeschooling mal eben noch nebenbei zu organisieren, hat in vielen Familien dazu geführt, dass die Rollenverteilung sich retraditionalisiert. Das hat unter anderem damit zu tun, dass nach wie vor ein extrem hoher Anteil erwerbstätiger Frauen in Teilzeit beschäftigt ist, dementsprechend weniger finanziellen Beitrag zum Gesamthaushaltseinkommen leistet, und dass im Zweifelsfall, wenn Not da ist, diese eben sprichwörtlich nicht am Manne, sondern an der Frau ist. Die Statistik von 2018 zeigt: Während mehr als 94% der erwerbstätigen Männer in Vollzeit beschäftigt waren, traf dies nur auf knapp 34% der Frauen zu.

Mit massiver medialer Reaktion wurde vor einigen Wochen dann auch eine Entscheidung der SAP bedacht, aus dem bis dato genderdiversen Co-CEO Team Jennifer Morgan und Christian Klein auf eine Allein-CEO-Lösung mit Klein an der Spitze zu wechseln. Befürchtet wurde, dies sei nun auch Ausdruck der Rolle rückwärts, und schnell wurde erklärt, diese Entscheidung sei keinesfalls eine gegen die Frau im Team gewesen, sondern zugunsten einer Alleinentscheider-Lösung. Für Ihren Gastbeitrag dazu in der ZEIT vom 28.04.2020 erntete Julia Jäkel einen Lovestorm. „Die Frau muss gehen, der Mann bleibt“, schreibt sie. „Ich kenne die Hintergründe nicht und weiß natürlich, dass die Dinge meist komplizierter sind als das Faktum per se, es geht aber auch gar nicht um SAP. Es geht um mich. Die Nachricht war der letzte kleine Auslöser, der tipping point, der mich nun doch dazu bewog, diesen Text zu schreiben. Mir fällt es in den vergangenen Wochen wie Schuppen von den Augen: Die Corona-Krise, bei der es um Leben und Tod, um ganze Existenzen von Familien und Unternehmen geht, macht offensichtlich, wer in Deutschland wirklich, wirklich entscheidet.“ Sie sei, so erzählte Jäkel in einer virtuellen Panel-Diskussion ein paar Tage später, an der ich teilnehmen durfte, total erstaunt gewesen, als sie zu Beginn der Krise bei Gruner + Jahr, der Organisation, die sie leitet, ein Krisenteam, den „Corona-Kreis“,  eingerichtet und festgestellt habe, dass da signifikant weniger Frauen dabei waren, als sie es ansonsten gewohnt ist.

Ein Rückschritt von genderdiversen Teams, insbesondere Führungsteams, wäre nicht nur in Sachen Geschlechtergerechtigkeit ein fatales Signal, es ist auch wirtschaftlich schlicht und ergreifend Unsinn, wie eine aktuelle Studie von McKinsey feststellt: „Our latest analysis reaffirms the strong business case for both gender diversity and ethnic and cultural diversity in corporate leadership – and shows that this business case continues to strengthen. The most diverse companies are now more likely than ever to outperform less diverse peers on profitability.“

Könnte also doch alles ganz einfach sein – oder? Wenn ich, beispielsweise im Rahmen der Arbeit an meinem aktuellen Buchprojekt zum Thema struktureller Sexismus mit Menschen über Gender Diversity spreche, dann kommt insbesondere bei uns Frauen häufig auf den Tisch, dass die Männer ja Angst hätten, wir Frauen nähmen Ihnen etwas weg. Früher habe ich darüber nachdenklich den Kopf geschüttelt, mittlerweile sage ich: Ja, und damit haben sie ja auch Recht! Als die Leopoldina-Kommission ihre Vorschläge bezüglich der Corona-Pandemie vorgelegt hat, ging ein großer Aufschrei durchs Land, weil von 26 Mitgliedern nur zwei weiblich sind. Doch ist ja klar: Würde man eine solche Kommission paritätisch besetzen, verlören 11 Männer ihre Plätze. Also: natürlich verlieren Männer etwas, wenn Frauen, sei es nun über Quoten oder andere Fördermaßnahmen, im Rahmen der Gleichstellung Raum erhalten. So ist das nun mal! Genau das macht die strukturellen Grundlagen, die uns den Weg zur Gleichstellung so schwierig gestalten, ja aus: Default, wenn man es technisch ausdrücken will, also Grundeinstellung in vielen Organisationen, ist beispielsweise zum Thema Führung, dass sie männlich besetzt ist. Iris Bohnet berichtet in ihrem Buch „What works. Wie Verhaltensdesign die Gleichstellung revolutionieren kann“ über die sogenannte Howard-Heidi-Studie. Geschlechtergemischten Teams von Studierenden wurde im Rahmen dieser Untersuchung die exakt selbe Fallstudie vorgelegt, zu der sie anschließend Aussagen über Kompetenz und Sympathie des:der Protagonist:in treffen sollten – mit einem Unterschied: Manche erhielten eine Fallstudie mit der Protagonistin namens Heidi, in den anderen Fällen ging es um Howard. Das Ergebnis lautet zusammengefasst: Maßen die Studierenden Howard Kompetenz zu, waren auch die Sympathiewerte hoch. Bei Heidi verhielt es sich anders: Je kompetenter sie beurteilt wurde, desto unsympathischer wurde sie wahrgenommen. Das heißt: Frauen in Führungspositionen mögen zwar Kompetenz ausstrahlen; wenn sie das tun, werden sie jedoch nicht gemocht.

Wenn ich mit Frauen in Female-Leadership-Programmen oder im Einzelcoaching zum Thema Führung, Leadership Brand und Karriere arbeite, erlebe ich häufig Unklarheit und Irritation darüber, wie sie als Frauen in einer Führungsposition überhaupt sein sollen. Wir besprechen Fragen wie: Muss ich besonders laut und besonders ruppig sein, wenn ich von den Männern akzeptiert und anerkannt werden will? Oder besonders weiblich? Nehmen sie mich dann ernst? Für mich liegt, wie so häufig, der Schlüssel darin, authentisch zu sein. Mir die Frage zu stellen: Wer und wie will ICH denn als Führungskraft sein? Wofür will ich von anderen geschätzt werden (gleich welchen Geschlechts), woran soll man sich erinnern, wenn man an mich denkt? Und mit Blick auf die Organisation: Was sind die geschriebenen, aber auch die ungeschriebenen Gesetze, die es hier zu beachten gilt, wenn ich erfolgreich sein will? Und welche davon will ich beachten, und wo will ich bewusst NICHT mitspielen.

Die Arbeit an der individuellen Situation ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite stehen eben jene strukturellen Grundbedingungen, die in Organisationen verankert sind und die es endlich einmal flächendeckend auf den Prüfstand zu stellen gilt. In „Unsichtbare Frauen“ beschreibt Caroline Criado-Perez eindrucksvoll, in welchen Bereichen überall Frauen unsichtbar sind, schlicht und ergreifend vergessen werden. Beispielsweise, wenn es um die Größe von Smartphones geht (die meisten Modelle sind daraufhin optimiert, in einer Männerhand gut zu liegen), oder wenn es darum geht, welche Notfallmaßnahmen bei einem Herzinfarkt zu treffen sind (Frauen zeigen andere Symptome, und deutlich weniger Herzinfarkte bei Frauen als bei Männern werden frühzeitig erkannt, weil darüber Unkenntnis besteht). Gerade jetzt, wo so einer signifikant hohen Anzahl von Frauen die beschriebene Rolle rückwärts droht, ist es an den Organisationen zu reagieren. Gender Diversity ist kein Label, das man sich, um bevorzugter Arbeitgeber zu sein, an die Tür hängt. Liebe Unternehmer:innen, liebe CEOs, liebe Boards, liebe Geschäftsführungen: Spätestens jetzt ist es an der Zeit, deutlich zu machen, dass ihr es wirklich ernst meint mit der Diversity!

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