Und wer bin ich dann morgen?

21.11.2018Claudia Salowski

Eine Frage, die Menschen in Veränderungsprozessen häufig sehr intensiv beschäftigt, ist: „Wer bin ich denn dann (noch), wenn sich ab morgen alles so ändert?“ Gerade Führungskräfte in Organisationen, die im Zuge der Digitalen Transformation neu über ihr Führungsverständnis nachdenken, befassen sich häufig sehr intensiv und auch sehr emotional mit dieser Frage. Wenn ich nicht mehr, wie bisher, durch die Merkmale charakterisiert bin, die Führung in unserer Organisation ausmachten – Verantwortlichkeit für bestimmte Themen, Anzahl direkter Reportinglinien, Anzahl Mitarbeiter insgesamt, Macht, Einfluss und vieles mehr – wenn das sich verändert, was heißt das denn für die Frage: Wer bin ich hier? Welche Rolle nehme ich ein, wie wird auf mich geschaut, welche Bedeutung wird mir beigemessen?

Gerade bei disruptiver Veränderung, also sehr schneller und gleichzeitig massiver Veränderung stellt sich die Frage nach der Identität von Personen und Rollen innerhalb der Organisation mit zwei Aspekten: was ist dann meine neue soziale Identität, also wer bin ich denn dann ab morgen (noch) im sozialen Gesamtgefüge der Organisation; und was ist die Auswirkung auf meine persönliche Identität, also wer bin ich dann noch als Individuum?

Beide Aspekte zusammengenommen machen das so genannte Selbstkonzept aus. Wir Menschen betrachten uns im Rahmen unserer Identität auch, indem wir den Unterschied zu denen betrachten, die „nicht ich“ sind. Ich als Individuum bin auch Teil einer oder mehrerer bestimmten Gruppen (ich gehöre einer Familie an, ich bin in einen bestimmten Kontext hineingeboren, und ich habe eben auch die Wahl getroffen, einer bestimmten Organisation anzugehören), und damit grenze ich mich gleichzeitig ab von Gruppen, denen ich nicht angehöre. Als Muster nennt man das das Erleben von „wir und die anderen“. Oft geht mit dieser Identitätsdefinition auch eine Definition bestimmter Merkmale einher, die ein- oder ausgeschlossen sind, d.h. sowohl der „Wir“-Gruppe als auch der „Nicht-Wir“-Gruppe werden bestimmte Eigenschaften und Merkmale zuerkannt und aberkannt. Für eine Organisation könnte man beispielsweise sagen: Wir sind innovativ, wir sind schnell und dynamisch, wir sind nicht langweilig, wir sind nicht elitär…

Wenn sich nun in einer Organisation eine Veränderung nähert, die mich in meiner Rolle innerhalb der Organisation betrifft, hat das mit Blick auf mein Selbstkonzept gleich mehrere Aspekte: Auf der faktischen Ebene mag sich das verändern, was ich hier in der Organisation tun soll. Möglicherweise ändern sich auch strukturelle Komponenten, also die Art und Weise, wie wir in der Struktur miteinander verbunden und organisiert sind. Gleichzeitig ändert sich aber auch – und manchmal zunächst nur in der Wahrnehmung und Erwartung – die Frage, wer ich denn dann ab morgen (noch) sein werde: 1. im Hinblick auf meine soziale Identität dergestalt, dass unklar ist und sich verändern könnte, welche Merkmale wir uns als Organisation künftig zuschreiben, die wir heute noch nicht für uns reklamieren, und möglicherweise werden wir in der Zukunft manche Merkmale nicht mehr haben (wollen), die uns heute noch lieb und wichtig sind. 2. ändert sich wohlmöglich auch die Frage nach meiner persönlichen Identität, und zwar über das reine Rollenverständnis hinaus, denn vielleicht habe ich mich als kreativ und dynamisch und erfolgreich angesehen im Rahmen meiner bisherigen Rolle, und mit der neuen Rolle und der Identität, die damit verknüpft oder noch völlig unklar und undefiniert ist, verbinde ich etwas ganz anderes – oder glaube, dass andere anderes damit verbinden werden.

Change, insbesondere wenn er disruptiv ist, kann also nie rein auf Strukturen und inhaltliche Veränderungen reduziert werden, sondern stellt immer auch die Frage: „Wie schaut man denn dann ab morgen auf mich? Und wie definiere ich mich denn dann ab morgen?“

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