Verständigung statt Besprechung – was wir von Google für die Meetingkultur lernen können

07.11.2018Claudia Salowski

Diese Postkarte ist mir kürzlich am Bahnhof ins Auge gesprungen und ich dachte: Passt total gut zu dem Satz, den ich in Trainings und Workshops gerne immer wieder betone, wenn es um das Thema Zuhören geht – listen to understand, not to prepare your answer. Oder wie eine ehemalige Kollegin es gerne formulierte: Es ist zwar schon alles gesagt, aber noch nicht von jedem.

Wenn wir mal ehrlich sind, laufen doch immer noch zu viele Meetings genau so ab. Es sind tatsächlich Besprechungen und keine Verständigungen. Es wird viel gesagt, aber mit welchem Effekt? Für wirksame Führung ist es heute von besonderer Bedeutung, sich zu verständigen. Damit meine ich: In echtem Kontakt zu sein mit dem Team, mit den FührungskollegInnen, mit dem Vorstand / der Geschäftsführung, mit den sonstigen relevanten Umwelten des Systems, in dem ich mich bewege. Echter Kontakt heißt für mich: Kontakt und Beziehungsaufbau und -pflege mit dem Ziel der Verständigung, „wir verstehen uns“ als echte Mission und nicht nur als Worthülse. Ich weiß, was du meinst, wenn du bestimme Dinge sagst oder schreibst, und du weißt, was ich meine, wenn ich darauf reagiere. Wir haben ein gemeinsames Verständnis, ein gemeinsames Bild dessen, was wir hier tun, was wir erreichen wollen.

Sehr plakativ kommt das für mich immer wieder in einem kleinen Lernprojekt zutage, das ich gerne in Workshops und Trainings mache, wenn es darum geht, was der Unterschied zwischen Reden und Verständigen ist: das Lego-Projekt! In Dreiergruppen sitzen A und B Rücken an Rücken, A hat die Lego-Bauanleitung und darf sprechen, B hat die Bausteine und darf nicht sprechen und auch keinerlei Hörersignale geben. C (und ggf. weitere Personen) beobachten still. Die zentrale Beobachtung in dieser Übung ist: Es ist echt schwierig, das Ziel, nämlich die Fertigstellung des Lego-Bausatzes, zu erreichen, denn wir haben gar kein gemeinsames Bild und uns auch nicht auf gemeinsame Begriffe verständigt. Wenn du Sechser-Stein sagst, sind das dann sechs Knubbel insgesamt oder in einer Reihe? Ist grau gleich grau, oder sieht beige nur auf der Anleitung anders aus als auf dem Stein? Wo ist überhaupt oben, unten, vorne und hinten, wenn wir nicht gemeinsam draufschauen?

Was hat das nun mit Google zu tun? Unter dem Titel „re:work – Let’s make work better“ hat Google Material und Erkenntnisse dazu zusammengetragen, wie Zusammenarbeit bestmöglich funktioniert. In der zugrunde liegenden Studie hat sich vor allem gezeigt, dass einer der Faktoren für die erfolgreiche Zusammenarbeit eines Teams weder in den Kompetenzen noch in der Ausbildung oder den Eigenschaften der Teammitglieder liegt. Der zentrale Erfolgsfaktor für die Zusammenarbeit in Teams ist die so genannte Psychologische Sicherheit, das bedeutet: Wie sehr fühlen sich die Teammitglieder dazu in der Lage (= sicher), im Team alles anzusprechen, was sie bewegt? Wie sehr vertrauen sie darauf, dass sie Probleme benennen, Schwierigkeiten und Risiken ansprechen und dabei keine negativen Konsequenzen befürchten müssen?

Und wenn wir uns die Besprechungen mal anschauen, die wir so erleben, dann stellt sich doch die Frage: Wie sicher fühlen wir uns, es anzusprechen, wenn schon alles gesagt ist, aber noch nicht von jedem? Was sind wir in der Lage zu verändern, wenn Vielredner dominieren, wenn Egomanen und Narzissten viel reden, aber wenig sagen, oder wenn Agendapunkte wieder und wieder verschoben werden, weil wir uns viel zu viele Punkte vorgenommen haben und diese nicht einmal priorisiert wurden?

Tolle Ideen dazu, wie sich das methodisch lösen lässt, gibt es übrigens im agilen Umfeld. Wenn mit agilen Methoden gearbeitet wird, sind Methoden wie Timeboxing (jedem Agendapunkt wird ein Zeitbudget zugewiesen, und innerhalb dessen muss das Thema eine Lösung oder einen nächsten Schritt haben) oder Retrospektiven (am Ende des Meetings sprechen wir über die Art der Zusammenarbeit, reflektieren also den Prozess und nicht die Inhalte) sehr bewährt.

Was ich mir gut vorstellen kann, ist, diese Postkarte vom Bahnhof künftig immer dabei zu haben. Und wenn es mal einen Punkt in einer Besprechung gibt, an dem zwar schon alles gesagt wurde, sich aber dennoch jemand bemüßigt fühlt, noch mal einzusteigen, dann halte ich mit einem Lächeln die Karte hoch und frage: Verständigen wir uns schon, oder meeten wir noch?

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